10 Apr

Rückkehr zum Dialog 2.0

 

Vor den Parlamentswahlen in Ungarn gab es in den deutschen Medien einen echten Tsunami von Kommentaren und Interviews. Eine kurze Analyse zeigt klar und eindeutig: mehr als 90 % gehen in dieselbe Richtung. Die „Gesprächspartner“ vertraten ausschließlich nur eine und dieselbe Position, nämlich die einseitige Kritik an der Politik der ungarischen Regierung. Es ist das gute Recht dieser Medien, die andere Meinung in wichtigen Fragen zu ignorieren, mit Schlagetot-Rhetorik versuchen diese zu diskreditieren. Als Botschafter meines Landes, aber zugleich auch als ungarischer und überzeugter europäischer Bürger erachte ich es für notwendig, wenigstens auf die wichtigsten Aussagen und Behauptungen zu reagieren, da die extrem arrogante und faktenignorante Offensive mit der klaren demokratischen Entscheidung der ungarischen Wähler nicht aufgehört hat, sondern sogar eine neue Dimension erreicht hat.  

Deutschlandfunk hat uns lehren wollen, die Ungarn verstünden nichts von der Demokratie. Während 70 % der ungarischen Wähler von ihrem Grundrecht Gebrauch gemacht haben und das größte Fest der Demokratie würdig begangen haben, schrieb die Welt am Sonntag, „die Ungarn wählen, doch eine Wahl haben sie nicht“. Die Süddeutsche Zeitung sprach ganz einfach über gehirngewaschene Anhängerschaft. Die Berliner Zeitung schrieb schlicht und einfach über Europas Schande. No comment.

Dann kamen die EU-Themen, über das unsolidarische Ungarn, das die EU zerstören will, das nur Dank Fördermitteln irgendwie überleben kann. Hier sehe ich einige fundamentale Probleme mit dem Umgang mit Fakten. Eines besteht darin, dass viele selbsternannte Guteuropäer es nicht ertragen können, wenn man eine eigene Meinung in wichtigen europäischen Fragen hat. Ich kritisiere nicht ihre Überzeugung, ihre Meinung. Aber ich muss entschieden zurückweisen, wenn die andere Meinung entweder einfach totgeschwiegen, oder aber totgeschlagen wird. Ungarn hat den EU-Vertrag immer (ich betone: immer) respektiert, oder Konflikte auf Grund der gemeinsamen Regeln ausgetragen, ging es um Grenzschutz, Haushaltsregeln oder Rechtstaatlichkeit. Wir haben unsere Pflichten ernst genommen und auch von unserem Rechte Gebrauch gemacht.

Nehmen wir die zwei am häufigsten in der Auseinandersetzung mit Ungarn aufgebrachten Beispiele. Zum einen, während heute schon (fast) alle in der EU die Notwendigkeit des Schutzes der EU-Außengrenzen anerkennen, werden die überdurchschnittlichen Anstrengungen Ungarns und der Ungarn schlicht ignoriert, manchmal sogar zynisch und faktenignorant an den Pranger gestellt. Zum anderen wird die Kohäsionspolitik als eine Art Spende, Almosen vorgestellt. Und nun zu den Fakten: Diese Gemeinschaftspolitik wurde in den 80-er Jahren als wichtiger Pfeiler zur Vollendung des Binnenmarktes und der vier Grundfreiheiten ins Leben gerufen, zu jener Zeit, als wir noch hinter dem Eisernen Vorhang verharren mussten. Geben und nehmen. Die EU ist sowohl eine Werte- als auch eine Verantwortungsgemeinschaft.

Was aber wirklich unter die Gürtellinie geht, ist die Bezichtigung des Antisemitismus. Keine andere Regierung in Ungarn hat im Kampf gegen Antisemitismus so viel geleistet, wie die Orbán Regierung seit 2010, wie z.B. gesetzliche Grundlagen, Förderung jüdischer Kultur, Erneuerung und Renovierung von jüdischen Glaubenseinrichtungen und Friedhöfen. Die Ergebnisse sind sichtbar geworden, diese können aber nur dann gesehen werden, wenn man bereit ist, die Augen vor diesen Tatsachen zu öffnen. Am selben Tag, als eine jüdische Frau in Paris brutal ermordet wurde, und in Berlin das Thema Antisemitismus auf Schulhöfen in die Schlagzeilen kam, hat Ministerpräsident Orbán die aus ungarischen Steuergeldern renovierte Synagoge in Szabadka/Subotica gemeinsam mit dem serbischen Präsidenten eingeweiht. Ich konnte darüber in den deutschen Medien nichts lesen. Wie auch darüber nichts zu lesen war, dass der israelische Ministerpräsident, der vor einigen Monaten Budapest besucht hat, in seinem Gratulationsschreiben am Sonntag Viktor Orbán nach Israel eingeladen hat.

Die EU-27 stehen vor außergewöhnlichen Herausforderungen. Brexit kommt, ein globaler Handelskrieg schwebt in der Luft, Konflikte traditioneller und neuer Art gefährden die Sicherheit und den Wohlstand unserer Bürger. Die einzige Chance ist unser Zusammenhalt. Wie diese Herausforderungen am besten behandelt werden können, darüber müssen wir schnell diskutieren, um die notwendigen gemeinsamen Entscheidungen treffen zu können. Ich betone: gemeinsam. Das gilt auch für Fragen, wo wir unterschiedlicher Meinung sind, oder aber unterschiedliche Visionen haben, insbesondere für den Themenbereich Migration. Die EU ist eine Gemeinschaft von gleichberechtigten Mitgliedsstaaten und Bürgern. Ungarn ist einer von denen. Wir sind verantwortliche und verlässliche Partner. Dieses Europa gehört auch uns. Wir lieben es, wir wollen, dass es stark und zukunftsfähig ist und bleibt.

Alle – ich betone: alle – deutsche Journalistinnen und Journalisten, Bürgerinnen und Bürger sind zu einem Dialog willkommen, wenn sie an einer fakten- und lösungsorientierten Diskussion interessiert sind. Ich hoffe aufrichtig, dass die Beleidigungsorgie der letzten Wochen durch einen europäischen Dialog ersetzt werden kann. Die Botschaft von Ungarn, das Büro des ungarischen Botschafters in Berlin bleibt stets offen. Sie sind herzlichst zu einem Dialog eingeladen, zum Wohle unserer Länder und Europas!

Unser Bekenntnis für Europa und die ungarische Bereitschaft zum Dialog wurde am Wahlabend auch offiziell von Premierminister Viktor Orbán bekräftigt: „Wir sind nicht gegen Europa und die Europäische Union, sondern wir wollen Europa, wir wollen die Europäische Union. Wir wollen eine erfolgreiche und starke Europäische Union. Jedoch müssen wir zuerst alles ehrlich aussprechen, was uns plagt (…). Ungarn will nicht jene Fehler begehen, die mächtigere und reichere Länder begangen haben. Und wir wollen nicht, dass Europa wegen dieser Fehler zugrunde geht. Wir wollen diese beheben. Nach der heutigen Wahl ist Ungarn mit seiner vollen Kraft bereit, an der gemeinsamen europäischen Arbeit teilzunehmen.“

 

Berlin, den 9. April 2018

Botschafter Dr. Péter Györkös