Die kontinentale Post-Brexit-EU kriegt eine neue Statik - mit einem noch größeren deutschen Anteil in der Mitte. Diese Herausforderung kann geografisch ausgewogen gemeistert werden. Deutschland spielte bisher eine wichtige Rolle in der Verwestlichung Mittel-Osteuropas. Jetzt wäre die "Veröstlichung" Westeuropas wichtig.
Das alte "Aachen-Europa" weiß immer noch ein bisschen wenig über Mitteleuropa. Das Ungarnbild zeigt das. Durch die Umsetzung europäischen Rechts hat Ungarn die EU-Außengrenze verteidigt. In der Frage der Rechtsstaatlichkeit hat Ungarn alle Probleme mit der Europäischen Kommission gelöst. Als bisher einzig sanktionierter Mitgliedstaat hat Ungarn bewiesen, dass Haushaltssanierung und Strukturreformen parallel machbar sind. Nachhaltiges Wachstum ist gesichert, die Arbeitslosigkeit sank von 12 auf 4,4 Prozent.
Die Visegrád-Länder (Polen, Tschechien, Slowakei und Ungarn) leisten einen enormen Beitrag sowohl zur Sicherheit des früheren "Westens" als auch zum Schutz der gemeinsamen Außengrenzen. Diese V4 planen ihre Zukunft weder auf Kosten der nächsten Generation noch anderer Steuerzahler und sind überzeugt, dass die Kosten der Reformen nicht durch einen supranationalen Verteilungsmechanismus zerstäubt werden können.
Der Wachstumsmotor Visegrád mit 64 Millionen Einwohnern ist Deutschlands größter Handelspartner, das Volumen von 258 Milliarden Euro mit gesunder Struktur ist 50 Prozent höher als zwischen Deutschland und China. Der Beitrag der V4 wird oft ignoriert. Wir sind keine Vertreter eines trotzigen Subkontinents, sondern wollen mit den anderen auf Augenhöhe verhandeln. Wir wollen ein starkes Europa mit starken Mitgliedstaaten.
Die V4 haben ein elementares Interesse am Zusammenhalt der EU. Die "Geschwindigkeits"diskussion" erweckt aber das Gefühl der Sehnsucht von manchen nach Zeiten vor dem Jahr 2004. Für die Herren Schäuble und Lamers war die Kern-Idee noch Magnet und Fortschritt. Für manche ist es heute eher eine Drohung gegen andere.
Kritischer Dialog gehört zu der Zukunftsdebatte. Ungarn hat wenigstens zwei Gründe: Erstens waren es Ungarn und Deutsche, die auf ungarischem Boden den ersten Stein aus der Berliner Mauer ausgeschlagen haben und dadurch den Weg zu Deutschlands und Europas Einheit frei gemacht haben.
Zweitens hat die Vereinigung Deutschlands in Ungarn die höchste Unterstützung genossen. Mehr sogar als in Deutschland selbst, da die Ungarn keine Angst vor einem vereinten Deutschland haben. Übrigens: Der Aachener Dom hat eine wunderschöne Ungarnkapelle.
Dieser Gastkommentar von Botschafter Dr. Péter Györkös ist am 7. März 2017 im Handelsblatt erschienen.