Herrn Bertold Kohler

Herausgeber

Frankfurter Allgemeine Zeitung GmbH

Hellerhofstraße 2-4

60327 Frankfurt am Main

 

Berlin, den 25. Juni 2018

Sehr geehrter Herr Kohler,

die FAZ wirft den Visegrád-Staaten auf der Titelseite der heutigen Ausgabe Selbstisolation vor, droht mit finanziellen Sanktionen und stellt – etwas absurd – fest, dass in bestimmten Fragen nicht nur in „Osteuropa“ Widerstände entstehen. Dem fügt der Autor noch hinzu, dass die im französisch-spanischen Vorschlag vorgesehenen geschlossenen(!) Aufnahmeeinrichtungen weit über das in Deutschland – übrigens sehr umstrittene – Konzept der Ankerzentren hinausgehen. Hier reiht sich leider auch ein Artikel der gestrigen Ausgabe der FAS ein, in dem dem ungarischen Ministerpräsidenten, der die Frage des Schutzes der Außengrenzen von Anfang an als Wurzel der Gesamtproblematik und als primäre Aufgabe definiert und entsprechend durchgesetzt hat, Schleusertum vorgeworfen wird.

Nach dem Treffen vom Sonntag in Brüssel ist festzustellen, dass die Europäische Kommission nach dem inhaltlichen Chaos mittlerweile auch ein institutionelles Chaos herbeigeführt hat. Sie hatte ein Treffen einberufen (invité, convening), es zirkulierte ein Entwurf, der später zurückgezogen wurde. Nur als Randbemerkung sei erwähnt, dass 12 der 28 Mitgliedstaaten nicht teilgenommen haben, während die von der FAZ an den Pranger gestellte Visegrád-Gruppe seit 27 Jahren unverändert aus vier Ländern besteht.

Institutionelle Konflikte bergen stets ein Risiko. Nichtsdestotrotz ist der inhaltliche Konflikt noch viel gefährlicher. Während die Europäische Kommission versucht hat, die Befugnisse des Präsidenten des Europäischen Rates an sich zu ziehen, hat das zuständige Mitglied dieser Institution einen fünf-Punkte-Aktionsplan formuliert. Hier zeigt sich das ganze Ausmaß des Nichtverstehens der Lage: der Schutz der Außengrenzen als Wurzel aller sekundären Probleme, das wichtigste Problem und die Aufgabe mit der höchsten Priorität rangiert erst an letzter Stelle. Nicht mal als „last but not least“, sondern lediglich mit einem „lastly“ davor.

Ungarn war das erste Land, das drei Jahre zuvor erklärt hat, alle Probleme in der EU, aber auch in der deutschen Politik ließen sich auf ein Grundproblem zurückführen: darauf, dass die EU-Außengrenzen nicht geschützt sind. Viktor Orbán sagte nicht nur im Interesse seines eigenen Landes und der Sicherheit der Ungarn, sondern im Interesse der gesamten europäischen Gemeinschaft – und in nicht geringem Ausmaß im Interesse Deutschlands: „Ich bin euer Burgkapitän“. Mit anderen Worten, ich werde die Außengrenzen vor illegaler Einwanderung schützen. Ich sage es noch einmal, Dank erwarten wir dafür nicht, selbst dann nicht, wenn das den ungarischen Steuerzahler bislang etwa eine Milliarde Euro und mein Land einiges an Reputation gekostet hat. Dass uns dennoch mit Sanktionen gedroht wird und ausgerechnet uns Schleusertum vorgeworfen wird, ist schon sehr verwunderlich. Es dürfte einmalig in der Geschichte sein, dass innerhalb einer Gemeinschaft demjenigen mit Sanktionen gedroht wird, der für den Schutz der Grenzen der eigenen Gemeinschaft verantwortlich zeichnet. Es gibt einen schizophrenen sog. „Solidaritäts-“ Diskurs darüber, wie wir uns gegenseitig die Lasten, die aus der Nichtwahrnehmung der primären Aufgaben entstehen, zuschieben, statt mit der Wahrnehmung der primären Aufgabe alle Mitgliedstaaten zu entlasten. Kein Land hat Deutschland so sehr entlastet wie Ungarn, das den Zustrom illegaler Einwanderer über die Westbalkanroute gestoppt und die Schengen-Regelungen an seinen Grenzabschnitten durchgesetzt hat. Die Visegrád-Gruppe ist willens, Italien im größtmöglichen Maße zu entlasten und hat deshalb angeboten, die Grenzschutzmission in Libyen zu finanzieren und Personal zur Verfügung zu stellen.

 Vor drei Jahren ist die Krise ausgebrochen. Seit drei Jahren ist Ungarns Position unverändert: Die EU muss ihre Außengrenzen schützen können. Haben wir diese primäre Aufgabe endlich wahrgenommen, werden wir sehen, wie auch die Zahl und Schwere der sekundären Probleme deutlich zurückgehen. Das gestrige Positionspapier des italienischen Ministerpräsidenten hat eine – seit nunmehr drei Jahren bekannte – Tatsache festgestellt: bei den Migranten liegt das Verhältnis der Wirtschafts- (und somit der illegalen) Migranten bei über 90 %.

Ergänzt wird der Schutz der Außengrenzen organisch um die humanitäre Dimension, durch den Export von Hilfe, den „Marshallplan für Afrika“ und die Einrichtung von Hotspots außerhalb der EU. Die innerdeutsche Diskussion über die Ankerzentren im Lichte des spanisch-französischen Vorschlags zeigt, warum diese Fragen nicht auf dem Gebiet der EU gelöst werden können. Es wäre besser, Lösungen und Hilfe zu exportieren und aufzuhören, Probleme zu importieren.

Vom Tor der Nationalelf in der 95. Minute erhoffen sich bei der Fußball WM viele die „große Wende“. Wir Ungarn erwarten von der anstehenden österreichischen EU-Ratspräsidentschaft eine nicht minder große Wende. Seit Samstag wissen wir, dass es nie zu spät ist, eine Wende zu erzielen.

Wenn ich am Flughafen Stuttgart warten muss, lese ich oft Zitate des ehemaligen Oberbürgermeisters der Stadt. Eins geht so: „Das wichtigste Mittel um den richtigen Weg zu finden, ist, die falschen zu vermeiden”.

 

Mit freundlichen Grüßen

 

 

Dr. Péter Györkös