10 Jul

Sehr geehrte Damen und Herren,

liebe Gäste,

 

Ungarns Übernahme der V4-Präsidentschaft fällt mit dem G20 Gipfel zusammen. Ohne um jeden Preis Parallelen ziehen zu wollen, lohnt sich doch schon zu Beginn der Blick auf eine Gemeinsamkeit: das Motto von G20 Deutschland: Eine vernetzte Welt gestalten; von V4 Ungarn: V4 connects - V4 verbindet.

Was will Ungarns V4 Präsidentschaft verbinden?

Zunächst einmal unsere Vergangenheit mit unserer Zukunft. Auf Betreiben von König Karl Robert von Anjou oder Carobert, schlossen 1335 er, der polnische Herrscher Kasimir der Große und der tschechische König Johann eine bedeutsame Übereinkunft im „Paradies auf Erden“ genannten Visegrád. Die war im Zeichen des freien und geregelten Handels, des Kampfes gegen Protektionismus geboren - auch hier eine Parallele zur Tagesordnung der G20. Sie wollten gleichberechtigte Partner im europäischen Handel sein. Dem ließe sich hinzufügen, dass sie schon damals mit einer Portion Flexibilität das Visegráder Format ergänzten, die „Visegrád Plus“ bildeten Heinrich von Wittelsbach, (Heinrich XIV. von Bayern) sowie Rudolf I., Herzog von Sachsen-Wittenberg.

In den folgenden Jahrhunderten stellten sich Kaiser, Sultane, Könige und Zaren dem Bestreben der Region in den Weg, eine eigene Rolle in Europa zu spielen. 1989/90, mit der großen Wende in Europa, begann die Renaissance von Visegrád. Schritt für Schritt erneuerte und vertiefte sich zwischen unseren Ländern und Völkern die regionale Zusammenarbeit, die heute in Europa und der Welt zunehmend an Bekanntheit und Anerkennung gewinnt.

Die Verbindung zwischen Geschichte und Gegenwart, die connection, ist heute ganz besonders aktuell. Vor wenigen Tagen haben wir Abschied von Bundeskanzler Helmut Kohl genommen. Er war nicht nur Kanzler der deutschen, sondern auch der europäischen Einigung, des Zusammenführens. Nach seiner Einschätzung wäre die EU ohne Mitteleuropa nur ein Torso. Sowohl vor, als auch in den Jahren nach dem Fall der Mauer arbeitete er mit außergewöhnlicher Intensität mit den Visegrádern zusammen, denn er glaubte, dass Deutschland und Mitteleuropa der Schlüssel für das Zusammenführen der Völker Europas sind. Daran zu erinnern scheint mir wichtig, denn in all den deutschen Beiträgen und Artikeln im Gedenken an Helmut Kohl gab es nur einen, der den Anteil der Ungarn, Polen, Tschechen und Slowaken am Fall der Mauer, an der Einigung Europas gebührend gewürdigt hat. Nun gut, sehen wir das Positive, in Deutschland hat immerhin ein Journalist darauf hingewiesen. Als im Gebäude des Europäischen Parlaments vor der Trauerfeier auf den Monitoren zahllose Bilder das Leben und Schaffen Helmut Kohls Revue passieren ließen, gab es kein einziges aus der Visegráder Region, das an Solidarność, die Öffnung der ungarischen Grenze oder Vaclav Havel erinnert hätte.

Zum zweiten müssen wir beim Aufarbeiten des historischen Rückstandes unsere Region vernetzen, dem dienen Verkehrs- und Energieinfrastrukturprojekte, dem dient auch unsere intensive digitale Agenda.

Zum dritten versuchen wir, eine Verbindung zu schaffen zwischen dem westlichen Teil der EU und seinen Nachbarn im Osten und auf dem Balkan, aber auch zu den neuen Nachbarn. In diesem Zeichen stand das Gipfeltreffen der V4 mit dem ägyptischen Präsidenten.

Am meisten aber wollen wir zum Zusammenhalt der Völker Europas, der EU-Mitglieder beitragen - in einer Zeit, in der das Gefühl der Zusammengehörigkeit schwindet, in der Drohungen und selbst offene Erpressung Aufnahme in das politische Wörterbuch finden.

Nennen wir das Kind ruhig beim Namen, sprechen wir aus, dass manche die Ansicht vertreten, wir Visegráder sähen die EU mal als Geldautomaten und mal als Supermarkt an. Geldautomat im Supermarkt? Das Gegenteil ist der Fall!

Die Visegráder wenden Gemeinschaftsrecht nicht selektiv an. Gemeinschaftsrecht wurde stets eingehalten, seien es die Haushaltsregeln, Schengen oder Dublin. Wir haben nicht versucht, zwischen den vier Grundfreiheiten zu differenzieren, haben zwischen ihnen keine hierarchische Ordnung etabliert. Wir planen unsere Zukunft nicht zulasten der Steuerzahler anderer Mitgliedsländer. Wir achten und wahren das Gleichgewicht aus Rechten und Pflichten, egal, ob es um Schengen und den Schutz des Binnenmarktes, verantwortliches Wirtschaften, Strukturreformen oder die Kohäsionspolitik geht. Gerade bei letzterer sei daran erinnert, dass diese Politik Mitte der 80-iger Jahre entstanden ist, als wir – nicht ganz aus freien Stücken – noch Mitglieder des Warschauer Paktes und des Rats für gegenseitige Wirtschaftshilfe waren.

Die beste und effektivste Form der connection ist der Dialog. Wir brauchen den Dialog, vor allem wenn wir mit unausgesprochenen Problemen konfrontiert sind. Während die V4 in den meisten europäischen Schicksalsfragen wie Sicherheit oder Wettbewerbsfähigkeit ausgezeichnet aufgestellt sind und ausgezeichnete Leistungen bringen, kommt es im Rahmen der trüben Begriffswelt um die Migration gelegentlich zu heftigen Kampagnen. Seit Beginn der Krise ist unser Standpunkt konsequent, dennoch tritt er nur selten an die Oberfläche. Deshalb seien hier drei „Nicht-Visegráder” zitiert:

1/ „Das Grundproblem ist, dass die gesamte Verteilung so wie sie ursprünglich von der Kommission vorgeschlagen wurde, nicht funktionieren konnte…Man muss die ganze Politik neu diskutieren.” (Gerald Knaus, Vorsitzender der ESI)

2/ „Doch je großzügiger Sie sind, umso mehr spricht sich das herum, was wiederum noch mehr Menschen motiviert, Afrika zu verlassen…Unglücklicherweise müssen Sie es Menschen aus Afrika erschweren, die bisherigen Transitrouten nach Europa zu benutzen.” (Bill Gates in der Welt am Sonntag)

3/ „80 % der Migrationsproblematik, die der italienische Ministerpräsident hier beschreibt, betrifft wirtschaftliche Migranten. Wir müssen uns kollektiv organisieren, aber wir dürfen nicht alles miteinander vermischen; denn es geht nicht um die Einhaltung unserer Prinzipien und die Einhaltung der Werte, die wir verteidigen, sondern es geht um anderes. Diese beiden Realitäten dürfen wir nicht miteinander vermischen. Ansonsten würde das bedeuten, dass alles unkontrolliert aus dem Ruder läuft.” (Emmanuel Macrons Pressekonferenz in Berlin)

V4 connects versucht deshalb dazu beizutragen, dass wir uns auch in den schwierigsten Fragen aussprechen und uns selbst kollektiv organisieren. Wir müssen unsere Union und unsere Bürger schützen, und gleichzeitig so vielen Menschen in Not helfen, wie es nur möglich ist. Aber wir müssen unsere Hilfe exportieren, und nicht auf europäischem Boden unlösbare Probleme importieren.

Grundbaustein der connection ist der Dialog. Dies ist von besonderer und eindeutig europaweiter Bedeutung zwischen den V4 und Deutschland. Das Programm des Vorsitzes führt deshalb das nächste V4-Deutschland-Gipfeltreffen an vorderster Stelle. Wir sind zuversichtlich, dass es nach den Bundestagswahlen schnellstmöglich stattfinden kann. Auch die erst seit ein paar Tagen hinter uns liegenden V4-Benelux- und V4-Frankreich-Gipfel haben gezeigt: das beste Mittel zur Problembewältigung ist der Dialog.

Die Visegrád-Gruppe ist ein verantwortungsbewusster und verlässlicher europäischer Partner. Dank der Arbeit unserer Grenzpolizisten können die Bürger in Deutschland in Ruhe schlafen. Die Verflechtung unserer Volkswirtschaften ist so stark, dass die V4 eindeutig Deutschlands wichtigster Handelspartner sind. Zusammen sind sie der Wachstumsmotor der EU, zusammen tragen sie zur Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit der EU bei, zusammen zeigen sie, dass die gemeinsame Vision der Vollbeschäftigung umsetzbar ist. Ohne die Gefahren einer allzu statistischen Betrachtung unterschätzen zu wollen, möchte ich einige Zahlen nennen: Das Handelsvolumen der V4 mit Deutschland betrug 2016 257 Mrd €, damit sind die V4 bei weitem der wichtigste Handelspartner Deutschlands. Ihr Anteil an deutschen Exporten beträgt 10,65%, im Falle Chinas ist dieser Wert 6,3%, im Falle Frankreichs 8,4%. Bei deutschen Importen macht der Anteil 13,44% aus, im Falle Chinas 9,8%, im Falle Frankreichs 6,9%. Und noch ein letzter Vergleich mit Sicht auf G20. Das Bruttoinlandsprodukt der V4 betrachtet, könnten wir eigentlich unter der G20 sein. Wenn wir das gleiche mit Rücksicht auf unsere Exportleistung tun würden, könnte die Visegrád Gruppe auch Mitglied der G7 sein.

Viele meinen, dass nach dem britischen Referendum, nach den französischen und deutschen Wahlen eine neue Situation in der EU entstanden ist, entstehen wird, und dass – in Betracht der kommenden Wahlen zum Europäischen Parlament – das Zeitfenster der großen Entscheidungen auf die vor uns liegenden 10-12 Monate, d.h. auf die ungarische Präsidentschaft fallen. Im Geiste dessen laden wir unsere deutschen Freunde und Partner zur Vertiefung und Ausweitung der Zusammenarbeit und des Dialogs ein.

Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit! 

 

Berlin, 10. Juli 2017.