Begrüßungsrede

des Boschafters von Ungarn, Dr. Péter Györkös,

anlässlich der Übergabe des Großen Verdienstordens von Ungarn

an MdB Dr. Wolfgang Schäuble

(Berlin, den 03. Juni 2022)

 

Sehr geehrte Frau Präsidentin!

Sehr geehrte Frau Bundestagspräsidentin!

Sehr geehrte Damen und Herren!

Es ist mir eine große Ehre, dass das Große Verdienstkreuz von Ungarn Herrn Dr. Wolfgang Schäuble hier, wenige Meter vom Brandenburger Tor entfernt, unweit vom Verlauf der ehemaligen Berliner Mauer, in Anwesenheit der neu vereidigten ungarischen Präsidentin der Republik, der ersten Bürgerin meiner Heimat, überreicht wird. Die Anwesenheit von Frau Präsidentin gibt mir die Gelegenheit, einige persönliche Momente in den Mittelpunkt meiner Begrüßungsrede zu stellen.

Sehr verehrter Herr Dr. Schäuble! Sie waren für viele von uns schon eine lebende Legende, als ich Sie 1991 im Büro des CDU/CSU-Fraktionsvorsitzenden im Bundestag kennenlernen durfte. Ich freue mich, dass auch Ihr damaliger ungarischer Partner, Herr Imre Kónya, heute hier bei uns ist. Dass Sie zu uns stehen, haben Sie auf aufrichtige, offene, respekteinflößende und respektvolle Art und Weise verdeutlicht. Damals waren wir noch kein NATO-Mitglied, wir waren noch Jahre vom EU-Beitritt entfernt, aber schon damals strahlten die Gespräche mit Ihnen eine Atmosphäre von Europa und Zusammengehörigkeit aus.

Ich hatte die Gelegenheit, Sie nach mehreren Jahren wiederzusehen, als ich während der ungarischen EU-Ratspräsidentschaft als ständiger Vertreter meines Landes eine der größten Hausaufgaben der von der Finanzkrise gebeutelten Union, das so genannte "Sixpack", zu bewältigen hatte. Abgesehen von der Frage des Deauville-Kompromisses konnte der ungarische Ratsvorsitz dieses umfangreiche Paket abschließen. Wir hätten nicht gedacht, dass einige Monate später, als dieses Paket in Kraft tritt, die Europäische Kommission diesen Moment nutzt, um im Rahmen der Brüsseler Reaktion auf das neue ungarische Grundgesetz und auf der Grundlage der Kohäsionsverordnung konkrete finanzielle Sanktionen gegen Ungarn vorzuschlagen. Die Situation war mehr als paradox. Wir saßen mit Ihnen, dem zuständigen Kommissar und der Ministerin Dänemarks, der Ratspräsidentin in einem Raum. Sie haben sich für die Sanktion ausgesprochen mit dem Argument, dass man glaubwürdig sein muss, damit das gemeinsame Regelwerk in der Welt der Haushalts-, Finanz- und Wirtschaftspolitik respektiert wird, und Sie waren zuversichtlich, dass Ungarn dies verstehen und einen nachhaltigen Weg einschlagen werde. Was geschah dann? Ungarn hat auf Ihre Worte gehört und innerhalb kurzer Zeit den Széll-Kálmán-Plan verabschiedet, der - hier und da auch mit unorthodoxen Mitteln - die Finanzen und die Wirtschaftspolitik meines Landes auf einen stabilen Weg gebracht hat. Die Ergebnisse sprechen für sich. Wir haben bewiesen, dass die Lektion von Wolfgang Schäuble machbar ist: Es ist möglich, Strukturreformen durchzuführen und gleichzeitig die Haushaltsdisziplin zu wahren. Ihre Sorgsamkeit hat auch dazu beigetragen, dass Ungarn nach drei Monaten aus dem Sanktionsregime aussteigen konnte. Lassen Sie es uns leise anmerken, dass die europäischen Institutionen nicht so sehr darauf bedacht waren, andere Mitgliedstaaten mit demselben Eifer über die Umsetzung gemeinsamer Vorschriften zur Rechenschaft zu ziehen. Aber Ihre Position und Ihre Vision haben meinem Land, und ich glaube auch Europa, einen großen Dienst erwiesen, denn wir glauben nicht an ein Europa der "Einheit in Verschuldung", sondern an ein Europa der "Einheit in Vielfalt".

Unser nächstes persönliches Treffen fand zum Jahreswechsel 2015-2016 in Ihrem Büro im Finanzministerium in Berlin statt, wo Sie den neuen Botschafter Ungarns in Berlin zu einem Einführungsbesuch empfingen. Zu dieser Zeit befanden wir uns auch auf dem Höhepunkt der nächsten großen europäischen Krise, und irgendwie standen Ungarn und Deutschland wieder im Mittelpunkt. Zu dieser Zeit haben Sie ein Interview gegeben, in dem Sie folgendes sagten: "Wenn wir ehrlich sind, müssen wir anerkennen, dass auch Ungarn nicht alles falsch gemacht hat." Der Journalistin versagte die Stimme. „Wie bitte? Ist Ungarn nicht eines der Länder, die Deutschland einfach im Stich lassen?" Bei unserem Treffen haben Sie drei Elemente hervorgehoben. Erstens haben Sie ausführlich nach der Migrationssituation in Ungarn gefragt, nach den ungarischen Maßnahmen und danach, wie diese Krise aus unserer Sicht interpretiert und gehandhabt werden sollte. Zweitens stimmten Sie zu, dass Ungarn durch den Schutz der gemeinsamen Außengrenze die größte Errungenschaft der europäischen Integration, den durch Schengen geschützten Binnenmarkt, gerade durch die Einhaltung der gemeinsamen Regeln bewahrt. Drittens stellten Sie eine Schlüsselfrage: "Warum ist es gut für Sie, wenn Ihnen das Image böser Menschen anhaftet?“ Ihre Frage hat den Empfänger sofort erreicht und wurde auch verstanden, denn wir sind alle gute Menschen und gute Europäer. Einige Wochen später wurde das größte Hilfsprogramm der ungarischen Geschichte Hungary Helps gestartet. Dieses Programm ist ein integraler Bestandteil des konsequenten Schutzes der Schengen-Außengrenzen. Denn wenn wir nicht das erste sichere Land sind, dann kann es nicht darum gehen, Probleme zu importieren, die in der EU nicht gelöst werden können, sondern es soll darum gehen, unsere Hilfe zu exportieren. Wenn wir heute hier über diesen Konflikt sprechen, der Europa so tief spaltet, und über unsere Rolle bei der Bewältigung dieses Konflikts nachdenken, dann wird die grundsätzliche Position, die Ungarn vor sieben Jahren eingenommen hat, in ihrer Gesamtheit dadurch sichtbar und glaubwürdig, dass wir als erstes sicheres Land bereits mehr als 700.000 ukrainische Flüchtlinge aufgenommen haben. Ich danke Ihnen für Ihre Bemühungen, die ungarische Situation und Position in dieser heiklen Frage zu verstehen, und auch dafür, dass Sie Ihre Kritik nicht verborgen haben. Wir Ungarn wissen, dass wir nicht unbedingt in allem und zu jeder Zeit Recht haben, somit sind wir neben der Verteidigung unserer Positionen immer für eine offene, verständnisvolle und respektvolle Debatte bereit.

Lassen Sie mich mit meiner dritten persönlichen Erfahrung schließen: Es war im Juni 1991. Ich hatte mich schon als Student in Moskau mit der deutschen Frage beschäftigt, später in den Monaten der Grenzöffnung war ich DDR-Referent und dank der deutschen Wiedervereinigung, die mit Ihrer maßgeblichen Beteiligung stattfand, war die ungarische Botschaft in Bonn mein erster Posten im Auswärtigen Dienst. Hier habe ich meine Doktorarbeit über die deutsche Einheit abgeschlossen. Ich war erst seit ein paar Tagen in Bonn und genoss die einzigartige Mischung einer weltpolitikfähigen Stadt und eines grünen Bundesdorfes. Genau 6 Tage später fand eine historische Debatte und Abstimmung im Bundestag statt. Sie waren maßgeblich an der Entscheidung des Parlaments des vereinigten Deutschlands beteiligt, nach Berlin zu ziehen. Ihre Rede, die eine Sternstunde der politischen Rhetorik war, hat mich nicht überrascht, auch wenn das Leben und Arbeiten am Rheinufer am Fuße des Petersbergs eine einzigartige Lebensqualität darstellt. Aber Berlin ist ein Symbol für Einheit und Freiheit. Nicht nur für Deutschland, sondern für alle Europäer. Sie wissen seit 1956, dass die Unabhängigkeit Ungarns nicht von der Einheit Deutschlands zu trennen ist. Genau aus diesem Grund hat Ungarn den ersten Stein aus der Berliner Mauer geschlagen, und die Einheit Deutschlands hatte bei uns Ungarn den größten Rückhalt, größer, als in den Reihen der Deutschen.

Lieber Herr Dr. Schäuble! Sie sind in der Nähe des Rheins geboren und haben dort lange gewirkt, und einige Jahre im Schwarzwald verbracht. Gerade deshalb haben Sie die Rolle und Bedeutung der "Mutter Donau" neben dem "Vater Rhein" für die Schaffung, Erhaltung und Stärkung der Einheit Europas erkannt. Sie haben einen historischen Beitrag dazu geleistet, dass der Geist der Bonner Republik in der Berliner Republik und erst recht in der institutionellen Welt von Brüssel nicht verblasst. Am 20. Juni 1991 sagten Sie im Wasserwerk, dass Sie die Argumente der Bonn-Befürworter nach der Debatte besser verstehen und respektieren können. Sie haben uns bei so vielen Gelegenheiten den gleichen Respekt entgegengebracht, auch wenn wir nicht immer einer Meinung waren. Sie haben sich nicht von der "Dankbarkeitsromantik" leiten lassen, die nach der Öffnung der Grenze vorherrschte, sondern von der Erkenntnis, die Sie am 20. Juni 1991 formulierten, dass Europa mehr ist als Westeuropa. Sie hatten auch in hohem Maße Recht damit, dass die Entscheidung für Berlin gleichzeitig auch eine Entscheidung ist, die Spaltung Europas zu überwinden. Die Bestätigung dieser Sichtweise bedarf noch weiterer Anstrengungen von uns allen, von Bonn bis Berlin, von Brüssel bis Budapest. Ihr Lebenswerk ist der beste Beweis dafür, dass dies möglich ist.  Wir danken Ihnen für Ihre Freundschaft und zählen auch in den kommenden Jahren auf Sie.