Sehr geehrte Damen und Herren! Sehr geehrter Herr Ministerpräsident!
Es ist mir eine Ehre, Sie anlässlich Ihres Nationalfeiertags als Botschafter Ungarns zu begrüßen. Über ihre Sprache hinaus sind die Ungarn auch darin besonders, dass sie drei Nationalfeiertage haben. Selbst das ist nicht genug. Den Tag der Deutschen Einheit empfinden wir auch ein wenig als unseren, denn die Ungarn schlugen den ersten Stein aus der Berliner Mauer, dem „antifaschistischen Schutzwall“. Und auch aus der in „Little Berlin“, der Mödlareuth-Mauer. Andererseits war die Unterstützung der deutschen Einheit bei den Ungarn am höchsten. Höher als unter den Deutschen selbst. Bei uns war nicht zu hören „Nie wieder Deutschland“. Wir wussten: Solange Deutschland seine Einheit in Freiheit nicht zurückgewinnt, wird auch Ungarn nicht souverän sein. Drittens ist unsere gemeinsame Geschichte jahrtausendelang. Und Geschichte ist wichtig; ich könnte auf die neuesten Forschungen zur ersten „Brathütte“ verweisen.
Thüringen spielte eine wichtige Rolle in der ungarisch-deutsch-europäischen Geschichte. Hier atmen wir nicht nur das „grüne Herz“, sondern den frischen Duft der Weltkultur ein, in dem wir wesentliche ungarische Bezüge finden: In Eisenach wurde Bach als Spross einer aus Ungarn übersiedelten Familie geboren, Weimar ist untrennbar verbunden mit Franz Liszt, mit den Ungarn des Bauhauses, mit László Moholy-Nagy, mit Marcel Breuer. Zwei Kapitel gerieten sogar auf die Titelseite des europäischen Geschichtsbuchs: die Heilige Elisabeth, ungarische und deutsche, zugleich europäische Heilige, und dann 1989 unsere Rolle bei Demolierung der Mauer und bei der Deutschen Einheit.
Unsere Beziehung begann nicht allzu gut. Aus der Niederlage bei Lechfeld im Jahr 955 gegen die Deutschen zogen Fürst Géza und der Heilige Stephan strategische Konsequenzen: Krone aus Rom, Ehefrau aus dem Reich. Die Zugehörigkeit zum westlich-christlichen Kulturkreis ist bis heute Grundpfeiler unserer Identität. Zwei Jahrhunderte später hielt der thüringische Hof es für geboten, dass ihre künftige Königin eine ungarische Königstochter sei. Elisabeth brachte nicht nur unsere Nationen einander näher, sondern auch die zwei Weltreligionen. Martin Luther, alias Junker Jörg, in Worms vogelfrei erklärt, würdigte auf der Wartburg neben der Bibelübersetzung die „ökumenische“ Heilige. Luthers und Melanchthons ungarische Schüler bewahrten in das unter türkische, dann habsburgische Besatzung geratene Ungarn Sprache und Glauben und verbreiteten den Protestantismus. Dieser Geist des Protests lebt seitdem in uns, man denke nur an die heutigen großen Debatten über Migration und Familie: „wir stehen da und können nicht anders“.
Wir standen nicht immer auf der richtigen Seite der Geschichte. Zu Beginn des nach John Lukacs definierten kurzen 20. Jahrhunderts, 1914, und dann auch im zweiten Weltbrand standen wir auf der falschen Seite. Die Ungarn und die Ostdeutschen erhielten ihre Strafe. Aber am Ende dieses kurzen Jahrhunderts, 1989, zahlten wir die historische Schuld zurück. Die Tür in der Berliner Mauer öffneten die Ungarn, die auf die Straße gehenden Ostdeutschen weiteten sie zu einem großen Tor, und Helmut Kohls kluge Politik führte uns zur deutschen und europäischen Einheit.
Was geschah 1989? Warum gerade die Ungarn? Erlauben Sie mir, dies aufgrund meiner persönlichen Erlebnisse in Erinnerung zu rufen. Als junger Diplomat trat ich im Frühjahr 1989 meinen Dienst an. Ich war enttäuscht, dass ich DDR-Referent sein werde. Nicht aus Respektlosigkeit. Die DDR war damals die verkörperte Langeweile, während Europa schon in Bewegung war. Wie im Lied von Karat: Manchmal scheint die Uhr des Lebens still zu stehn. Kurt Hager nannte Reformen Tapezieren, der „Sozialismus in den Farben der DDR“ war erstarrt. Honecker verkündete, die Mauer werde noch 100 Jahre stehen. Die Kommunalwahlen wurden gefälscht. Doch die Lage änderte sich schnell. Als ich aus meinem Sommerurlaub zurückkam, wartete ein geheimer Drahtbericht: Genosse Günter Mittag teilte vertraulich mit, der Viertakt-Trabant sei fertig, aber man solle es geheim halten, das werde Genosse Honecker zum 40. Jahrestag der DDR verkünden. Die als komisch betrachtete Nachricht bestätigte, dass der Herr der DDR ernsthaft krank war, und dass der Erregungsgrad der DDR-Bevölkerung zunahm – was auch für die deutschen Touristen bei uns zutraf. Sie waren es, die die ungarischen Verhältnisse so treffend definierten: fröhlichste Baracke, Gulaschkommunismus. Ungarn war der große deutsch-deutsche Treffpunkt. Im Sommer-Herbst 1989 erwuchs daraus der Katalysator der europäischen, ja der Weltgeschichte.
Churchill sagte lange vor seiner Fulton-Rede, man habe keine Ahnung, was in den von der Roten Armee besetzten Gebieten vorgehe. Der Eiserne Vorhang senkte sich, doch die deutsche Teilung hielt nicht jeder für eine schlechte Lösung. Marschall Schukow fasste 1955 die NATO-Mitgliedschaft der BRD und die Warschauer-Pakt-Mitgliedschaft der DDR so zusammen: „Sie haben Ihr Deutschland, wir unseres – ist das nicht die beste Lösung?“ Als sich mit der Öffnung der Berliner Mauer auch die deutsche Frage öffnete, zitierten nicht wenige Mauriacs Satz: „Ich liebe Deutschland. Ich freue mich, dass es zwei davon gibt.“ Auch Kissinger reagierte so, dass er „nicht unbefriedigt sterben würde, wenn sich die deutsche Wiedervereinigung in seinem Leben nicht zustande käme“.
Einst blieb am Eisernen Vorhang die Berliner Spalte offen. Die Ausblutung der DDR setzte sich fort. 1961 einigten sich beim Wiener sowjetisch-amerikanischen Gipfel: Chruschtschow akzeptiert die drei Bedingungen der USA, im Gegenzug nimmt Kennedy die Errichtung der Mauer zur Kenntnis. Seinen Worten nach „ist das nicht schön, aber besser als ein Weltkrieg“. Als er zwei Jahre später auf dem Balkon des Schöneberger Rathauses seine berühmte Rede hielt, sagte Kennedy eigentlich, er sei ein West-Berliner. Die große Teilung wurde in Beton gegossen.
Im Zuge der Entspannung war die DDR-Führung gezwungen, ein wenig Reisefreiheit zu gewähren. Hier kam das Land des Gulaschkommunismus ins Spiel. Geografisch nah, Teil des Friedenslagers, touristisch attraktiv. Es kam zu einer Vereinbarung über Visafreien Verkehr. Die Bezeichnung ist komisch, denn nicht die Ungarn gaben die Erlaubnis zur Einreise, sondern die DDR-Behörden zur Ausreise, mit minimalem Taschengeld von täglich 36 Mark. Im Gegenzug erwartete man, dass die Ungarn keinen einzigen Ossi in ein Drittland ausreisen lassen und wer das versucht, zurückgeschoben werde. Das war die Verlängerung der Berliner Mauer. Als das auf den Systemwechsel vorbereitende Ungarn dazu nicht mehr bereit war und Zehntausende deutsche Touristen die Rückkehr verweigerten, entstand eine neue Qualität. Der erste Test war das Paneuropäische Picknick. Bei Sopron kam es zum größten deutschen Exodus, zur massenhaften „Republikflucht“. Die sowjetische Armee blieb in der Kaserne. Die Breschnew-Doktrin war tot. Gorbatschow hat den Aufruf von Ronald Reagan vom Juni 1987 nicht erfüllt, er hat die Mauer nicht abgerissen. Sowas war unrealistisch. Aber er hat die Ungarn und die Ossis nicht verhindert, das zu erledigen. Ungarn konnte die Entscheidung treffen, das Abkommen über Visafreien Verkehr kündigen, keinen Stein in den Weg jenen Ostdeutschen legen, die in ein aufnahmebereites Drittland ausreisen. Wie in Ingo Schulzes Roman Adam zu Evelyn sagt: „Die Ungarn haben das internationale Flüchtlingsstatut unterzeichnet und das Abkommen mit euren Betonköpfen gekündigt, die liefern niemanden mehr aus!“ Die Entscheidung teilten wir am 8. September 1989 dem DDR-Botschafter mit. Als ich den Diplomaten begleitete, formulierte er drei Aussagen:
Erstens, dass Ungarn die DDR verraten habe. Geben wir zu: Nicht (nur) wegen uns behielt Stefan Heym recht, als er die DDR als Fußnote in der Weltgeschichte beschrieb. Seine zweite Aussage war, uns musste klar gewesen sein, was die Gründe für die Errichtung der Berliner Mauer waren. Das heißt, er sprach Wochen vor Helmut Kohl aus, die Ungarn träten damit den ersten Stein aus der Mauer. Die dritte Aussage des Botschafters war ein schwerer Irrtum. Er sagte, die deutsche Einheit werde geschehen – aber auf westdeutschem Boden. So kam es nicht, weil die Ostdeutschen auf die Straße gingen: „Wir bleiben hier“, „Deutschland, einig Vaterland“. Ihnen gebührt Anerkennung nicht nur für Deutschlands Wiedervereinigung, sondern auch für die Einheit Europas. „Ochs und Esel konnten den Sozialismus auf seinem Lauf nicht aufhalten.“ Sie und Ihre Eltern jedoch schon. Auch die Teilnehmer der Freitagdemos in Gotha gingen ein Risiko ein. Wie Evelyn in Schulzes Roman vorhersagte: „Nach dem 40. Jahrestag geht es dann wirklich los… Hast du vergessen, wie die Chinesen das gemacht haben?“ Sie haben mutig die von uns geschlagene Spalte weit aufgestoßen, woraufhin sich die Flüchtlingskrise in kurzer Zeit zur System-, dann zur Staatskrise entwickelte. Da trat der dritte Hauptakteur unserer Geschichte auf, Bundeskanzler Helmut Kohl. Mit dem Verständnis der Lage nach dem 9. November, mit dem Ergreifen des „Bismarckschen Mantels“ und mit der Vorstellung des Zehn-Punkte-Plans stellte er sich an die Spitze des Prozesses. Die Welt und die deutsche Politik fokussierten sich vor allem – oft empört – auf Punkt 5, der die Föderationsvision kombiniert mit der Idee einer Konföderation wiederbelebte, während Punkt 7 schon vorwegnahm, dass die Reformstaaten Mitteleuropas in die EU gehören. Deshalb erwarten wir keinen Dank für das, was wir getan haben. Helmut Kohl hat ihn schon erwidert, indem er unsere Auslegung bestätigte: Ungarn wird nicht souverän sein, solange Deutschland nicht „seine Einheit in Freiheit“ erlangt.
Ich kann nicht behaupten, dass wir heute eine einfache Phase der deutsch-ungarischen Beziehungen erleben. Die Erinnerung an 1989 ist verblasst. Über uns hört man grundsätzlich Schlechtes oder nichts, aus uns wurde der „perfekte Sündenbock“. Damals haben wir Europa groß gemacht. Jetzt trifft – gerade mit Berufung auf Europa – viel Kritik Ungarn, nicht selten auch die Ostdeutschen. Wenn sich Ungarn und Deutsche gut verstehen, profitiert Europa. Wenn nicht, dann ist es ein europäisches Problem. Noch eine persönliche Erfahrung, in der Hoffnung, Ihre Geduld nicht zu missbrauchen.
Am 7. Oktober 1989, als die ungarische Grenze seit vier Wochen offenstand und Zehntausende Ostdeutsche in die Freiheit gingen, saß ich als Begleiter des ungarischen Staatsoberhaupts im Palast der Republik. An jenem Tag erklang die gorbatschowsche These, der zufolge „wer zu spät kommt, den bestraft das Leben“. Bei den Feierlichkeiten zum 40. Jahrestag fesselte uns, dass Honecker, Jakeš und Ceaușescu Gorbatschow zu überzeugen versuchten, mit seinen Soldaten die ungarische Bresche zu schließen. Die Achse Ost-Berlin–Prag–Bukarest hatte keinen Erfolg. Gorbatschow stürmte nach der Vorspeise davon, Honecker fiel zehn Tage später, im November Jakeš, und im Dezember auch Ceaușescu.
Wer heute das Ungarn-Bild entschlüsselt, sieht, dass bei uns umgekehrte Logik gilt: Wer zu früh kommt, den bestrafen die Spätankömmlinge. Oder, wie man bei uns sagt: Die Ungarn hatten nicht recht, sondern sie werden recht behalten. Diejenigen, die uns so oft schlecht nennen, schlagen Helmut Kohls Memoiren auf Seite 75 auf, darin Gorbatschows Ausspruch: „Die Ungarn sind gute Leute.“ Das sind sie.
2010 errang in Ungarn bei freien Wahlen eine rechtsgerichtete politische Familie eine Zweidrittelmehrheit und scheute sich nicht, damit zu leben. Die ungarische Demokratie steht seither unter ständigen, faktenignoranten, ideologisch getriebenen Angriffen, während in immer mehr Ländern sichtbar wird, dass auch eine rechtskonservative Welt demokratisch sein kann.
Es kam das die deutsch-ungarischen Beziehungen erschütternde Jahr 2015. Ungarn erkannte als erstes das wahre Wesen der illegalen Migration. Europas ungarischer „Burgkapitän“ verteidigte die gemeinsame Außengrenze, zog einen Zaun vor den illegalen Migranten hoch. Sein Lohn war hemmungslose Kritik und seit einem Jahr eine schwere Geldstrafe. Auch heute, am Tag der Deutschen Einheit stöhnen wir unter einer täglichen Million-Euro-Buße. Die Ostdeutschen verstehen vielleicht das Wesen der ungarischen Entscheidung vor zehn Jahren, nämlich dass ein Unterschied besteht zwischen einer Zellentür und der eigenen Haustür. Wenn die EU nicht in der Lage ist, ihren eigenen Eingang zu schützen, dann zerfällt das Wesen der europäischen Integration, der Binnenmarkt und Schengen, es wird wie ein Ei ohne Schale. Unsere andere Grundsatzentscheidung war, dass nur wir entscheiden können, mit wem wir zusammenleben. Migration hat grundsätzliche Wirkung auf die Zusammensetzung und Identität der Gesellschaft. Wir sprechen niemandem das Recht ab, anders zu entscheiden. Aber unser Toleranzangebot hat eine Grenze: Niemand kann sein Modell uns aufzwingen. Auch wir haben ein Herz. Wir wollen den Notleidenden helfen. Aber die Probleme der Welt kann man nicht auf europäischem Boden lösen. Nicht die hier unlösbaren Probleme müssen importiert, sondern die europäische Hilfe exportiert werden. Die Allerbedürftigsten haben weder Energie noch Geld, nach Europa aufzubrechen. Man muss „vor Ort“ helfen.
Auch der Woke-Welle widersetzte sich zuerst Ungarn, indem es aussprach, dass die Ehe auf der Verbindung von Mann und Frau beruht, und dass für die Erziehung der Kinder die primäre Verantwortung bei den Eltern liegt. Sie erinnern sich wohl, was wir damals am Rande der Fußball-EM erhielten. Auch hier dreht sich die Welt. Wenn man das Kulturkampf nennt, dann soll man es so nennen. Wir verstecken uns nicht vor Debatten und Konflikten.
Dann kam der Februar 2022, der Aggressionskrieg gegen die souveräne Ukraine. In seinem Wesen beurteilen wir ihn gleich, aber in der Frage von Krieg und Frieden sehen wir erhebliche Meinungsunterschiede.
Ich wiederhole, was wir von Luther gelernt haben: Hier stehen wir, und können nicht anders. Auch 1989 wollte man uns von der Grenzöffnung abbringen. Als junger Diplomat erlebte ich die Kritik, die Hinweise auf den Bruch der Weltordnung und darauf, dass das kleine Ungarn sich nicht in die Angelegenheiten der Großen einmischen solle. Hinter dem, was wir taten, stand ein nationaler Konsens. Die reformkommunistische Regierung, die demokratische Opposition und die ungarische Gesellschaft hielten zusammen, sie unterstützten die ostdeutschen Flüchtlinge, die Grenzöffnung und die deutsche Einheit.
Denn wir nicht nur achten, sondern mögen die Deutschen – sagten sie. Wir luden sie im Jahr 1000 ein, und Andreas II. ließ seine vierjährige Tochter an den Ludowinger Hof gehen. Doch der ungarische König wies schon im Jahr 1000 die auf Dominanz zielenden Bestrebungen der ankommenden deutschen Ritter und Priester zurück, so wie Elisabeths Vater den Deutschen Ritterorden aus dem Land jagte. Die im 18. Jahrhundert angesiedelten Deutschen integrierten sich in die ungarische Gesellschaft, und die Germanisierungsambitionen des Wiener Hofs wurden nicht verwirklicht. Kein Zufall, dass das ungarische Parlament als erstes den Gedenktag der Vertriebenen einführte, früher als der Bundestag. Kein Zufall, dass außerhalb des deutschen Sprachraums nur bei uns eine deutschsprachige Universität funktioniert, dass man bei uns vom Kindergarten bis zum PhD auf Deutsch lernen kann. Langsam wird bei uns eine der größten deutschen medizinischen Universitäten entstehen, und bald können auch aus Thüringen die ersten Medizinstudenten eintreffen. Ebenso kein Zufall, dass die Ungarndeutschen in ihrer Zahl und Identität stärker werden. Kein Zufall, dass sich die deutsche Wirtschaft in dem sicheren ungarischen Hafen wohl fühlt. Ungarn ist wieder ein großer Treffpunkt, diesmal zwischen den deutschen Premiummarken und den asiatischen Batterieproduzenten.
Wir haben eine europäische Mission. Doch Europa, die europäischen Ideale darf man nicht nur in Festreden und leeren Floskeln lieben. Denn Europa ist in Not. Seine Wirtschaft schwächt sich, seine globalen Positionen sind auf dem Rückzug. Das zu kritisieren, eine Neuordnung der Prioritäten zu fordern, ist nicht europafeindlich, sondern pro-europäische Grundhaltung. Wir haben das „Aktuelle-Kamera-Syndrom“ hinter uns. Es existiert ein „Oststolz“. Wir haben eine Mauer eingerissen, wir wollen keine neuen errichten. Zur Einheit gehört der Akzeptant der Andersdenkenden. Das vereinte Deutschland ist mit den Ossis reicher geworden, aber auch anders. Laut dem „Nature“ Magazin unterscheiden sich Ost- und Westdeutsche genetisch. Das weiß ich nicht. Was ich aber weiß, dass das vereinte Deutschland kein Westdeutschland 2.0 ist. So wie das vereinte Europa kein Benelux XXL ist. Der einstige Osten ließ sich in weit größerem Maße „verwestlichen“, als der einstige Westen sich „veröstlichen“. Dabei täte Letzteres bisweilen nicht schaden. Wir sind kein „Einheitsbrei“. Verständnisprobleme kann man nur auf dem Weg des Verstehens und Verständigung kurieren.
Erinnern Sie sich an dieses Zitat? „Das Parteimitglied ist verpflichtet … die Selbstkritik und Kritik von unten zu entwickeln, furchtlos Mängel in der Arbeit aufzudecken und sich für ihre Beseitigung einzusetzen, gegen Schönfärberei und die Neigung, sich an Erfolgen in der Arbeit zu berauschen, gegen jeden Versuch, die Kritik zu unterdrücken, und sie durch Beschönigung und Lobhudelei zu ersetzen, anzukämpfen“. Das ist im Vorwort von Stefan Heyms „Fünf Tage im Juni“ zu lesen. Oder wie im Witz der Verkäufer zum Bürger, der Bananen kaufen will, sagt: „Genosse, bist du etwa gegen den Frieden?“
Unsere gemeinsame Vergangenheit verpflichtet uns, das Erbe der Ungarn, der „Ossis“ und Helmut Kohls zu bewahren. Dabei können Sie auf uns Ungarn zählen. Wenn es sein muss, gehen wir über viele Brücken. Notfalls über sieben.
Es lebe die deutsch-ungarische, die thüringisch-ungarische Freundschaft! Herzlicher Glückwunsch zum 35. Geburtstag des Freistaats. Auch künftig beginne ich meinen Tag mit Thüringen, denn meine Kaffeetasse ist Bürgeler Porzellan. Danke für Ihre Aufmerksamkeit!